Aus Sorge über die demokratische Entwicklung in Deutschland habe ich einen offenen Brief an den Bürgermeister meiner Heimatstadt Hammelburg geschrieben. Die örtliche Presse wird demnächst darüber berichten.
Lesen Sie hier meinen offenen Brief.
Hammelburg 8. Feb. 2024
Sehr geehrter Herr Bürgermeister!
Als einziger lebender Ehrenbürger Hammelburgs fühle ich mich mit verantwortlich für das friedliche und menschenwürdige Zusammenleben aller Bürgerinnen und Bürger in Hammelburg und als ehemaliges Mitglied des Bundestages darüber hinaus auch in ganz Deutschland und der EU. Aus persönlicher Betroffenheit über die Entwicklung eines immer weiteren Erstarkens rechtsradikalen Gedankenguts in Deutschland schreibe ich Ihnen, in der Hoffnung, stärker gemeinsam dagegen anzugehen.
Am 9. November 2023 haben Sie anlässlich der Mahnfeier zur Pogromnacht vor der ehemaligen Synagoge in Hammelburg eine beeindruckende Rede gehalten. Der Tenor war, dass nie wieder solch eine Gewalt wie damals von den Nationalsozialisten (Nazis) ausgehend, geschehen darf. Wir wissen, am Ende der Nazizeit standen 6 Millionen ermordete Juden und 75 Millionen Tote in dem von den Nazis angefachten Zweiten Weltkrieg.
Zurecht mahnten Sie sinngemäß, dass allen neu erwachenden undemokratischen, verfassungsfeindlichen und rechtradikalen Anfängen in Gedanken und Handlungen mutig entgegen zu treten sei.
Ich habe Ihnen damals für Ihre Rede und Ihre mahnenden Worte persönlich meinen Dank ausgesprochen.
Zudem habe ich Sie damals aufgefordert auch innerhalb Ihrer Partei der CSU allen Anfängen eines aufkommenden verfassungsfeindlichen Gedankenguts und Handlungen persönlich mit Parteianträgen gegen die AfD entgegenzutreten.
Die Partei AfD vertritt nach Recherchen der Jugendstrategie der Bundesregierung „ohne Scham in der Öffentlichkeit rassistische, antisemitische und Holocaust verleugnende Aussagen“.
Insbesondere forderte ich Sie damals auf, innerhalb der örtlichen CSU einen Beschluss herbeizuführen, keine Zusammenarbeit mit dieser in Teilen eindeutig verfassungsfeindlichen, rechtradikalen Partei AfD einzugehen, auf kommunaler, wie auf Bundesebene.
Bis heute habe ich dazu keine Aktivitäten Ihrerseits erkennen können.
Am 29.1.2025 hat die CSU zusammen mit der CDU einen Antrag im Bundestag zur Verschärfung der Migrationspolitik eingebracht, der bei Umsetzung in manchen Teilen menschenunwürdige Zustände an den Grenzen hervorrufen könnte.
Es war von vornherein klar, dass dieser CDU/CSU Antrag nur mit den Stimmen der AfD im Bundestag eine Mehrheit finden kann. So kam es dann auch. Damit haben CSU und CDU ganz klar eine indirekte Zusammenarbeit mit der in Teilen verfassungsfeindlichen AfD praktiziert, auch wenn sie ohne direkte Zusammenarbeitsformalitäten zustande kam.
Durch Ihr persönliches Dulden, ohne Widerspruch, genauso wie tausende CSU-Mitglieder empfinde ich, dass Sie ihrer selbst auferlegten Mahnung „Wehret den Anfängen“, nicht nachgekommen sind. So ist dieser demokratiefeindliche Dammbruch erst möglich geworden.
Ich fordere Sie hiermit öffentlich auf, dass Sie als Mitglied in der CSU von Ihrem demokratischen Recht Gebrauch zu machen und endlich eine öffentlichkeitswirksame Initiative für einen Parteibeschluss herbeiführen, der eine Zusammenarbeit der CSU mit der AfD und anderen rechtsradikalen Parteien zukünftig ausschließt, sowohl direkt in Verhandlungen, also auch indirekt als geduldeter Mehrheitsbeschaffer, wie gerade im Bundestag geschehen.
Bitte nehmen sie sich nochmal die Doktorarbeit des Hammelburger Dr. Friedrich Schäfer vor, mit dem Titel: „Das Eindringen des Nationalsozialismus in das Alltagsleben einer unterfränkischen Kleinstadt, dargestellt am Beispiel Hammelburgs für die Jahre 1922 bis 1935 unter besonderer Berücksichtigung der Lokalpresse.“
Dort können Sie nachlesen, wie das zu wenig vorhandene „Wehret den Anfängen“ die Machtergreifung der NAZIS auch in Hammelburg ermöglichte. Zwar versuchte die regierende Bayrische Volkspartei (BVP) die Nazis klein zu halten. Aber es erteilte beispielsweise Hammelburgs Bürgermeister Schlereth von der BVP auf einer Parteiversammlung der BVP 1931 dem NS Abgeordneten Dr. Hellmuth aus Marktbreit das Wort für eine halbe Stunde Nazipropaganda. Nachzulesen auf Seite 98.
Das Beispiel zeigt, wie sehr das Verweigern der Zusammenarbeit mit der AFD einem „Wehret den Anfängen“ gleichkommt und umgekehrt eine Duldung ihrer propagandistischen Aktivitäten, das Eindringen in demokratische Strukturen befördern kann.
Bitte geben Sie mir schriftlich Auskunft über Ihre Aktivitäten in der CSU gegen eine Zusammenarbeit/Duldung als Mehrheitsbeschaffer der AfD zur politischen Arbeit der CSU.
Ich fühle mich auch verpflichtet in der Tradition meines Vaters Karl Fell, der 18 Jahre lang Bürgermeister für die CSU in Hammelburg war und der mir die Augen geöffnet hat für die Greueltaten der Nazis und mich immer gemahnt hat: „Wehret den Anfängen“
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Josef Fell
Stadtrat in Hammelburg von 1990 bis 1998
Mitglied des Bundestags von 1998 bis 2013
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