Komplett ignoriert wurden in den deutschen Medien und der politischen Diskussion der hoffnungsvolle Beginn einer neuen Ära der ukrainisch-europäischen Energiezusammenarbeit. Erstmals wurde Biomethan aus der Ukraine in die EU importiert. Biomethan ist ein auf die technische Qualität von Erdgas aufbereitetes Biogas.

Die ukrainische VITAGRO-Unternehmensgruppe hat am 7. Februar 2025 – trotz der zunehmenden Angriffe Russlands auf die ukrainische Energieinfrastruktur – mit dem Export von ukrainischem Biomethan in die Europäische Union begonnen.

Die Vitagro-Anlage wird jährlich 3 Millionen m³ Biomethan produzieren, was dem jährlichen Gasverbrauch von 2.000 deutschen Haushalten entspricht.

„Wir haben bereits einen Plan für die weitere Entwicklung von Biomethan-Projekten“, sagte Serhiy Savchuk, Direktor bei der Vitagro Group.

Über einem Jahrzehnt warb ich für den Biogas-Export der Ukraine in die EU

In seiner früheren Position als Leiter der Ukrainischen Energieagentur traf ich mich mehrfach mit Serhiy Savchuk und besprach neben den großen Möglichkeiten und Notwendigkeiten des Ausbaus von Solar- und Windenergie auch die der ukrainischen Biogaseinspeisung für die Durchleitung in die EU. So könnte die Ukraine selbst einen Beitrag leisten um die EU-Abhängigkeit vom russischen Erdgas und die gleichzeitige Füllung der russischen Kriegskassen zu beenden. Zudem würde so ein wirtschaftlicher Beitrag zur Entwicklung der Ukraine und auch zum Klimaschutz geschaffen.

In mehreren Anhörungen im letzten Jahrzehnt im Energieausschuss des Ukrainischen Parlaments warb ich als geladener Experte für eine Umstellung der Ukrainischen Energieversorgung auf 100 % Erneuerbare Energien in Verbindung mit Strom- und Biogaslieferungen aus den riesigen Flächen der Ukraine in die EU, um so die Abhängigkeit Europas von russischen Energielieferungen beenden zu helfen.

Es ist sehr tragisch, dass in der ukrainischen Regierung das Bewusstsein dafür erst nach dem Kriegseinfall Russlands in die Ukraine stieg. Umso mehr freue ich mich über die ersten Anfänge ukrainischer Biomethanlieferungen in die EU.

Jahrzehntelange Konflikte um den russischen Erdgastransit durch die Ukraine in die EU

Die russisch-ukrainischen Erdgaskonflikte sind uralt; meist verursacht durch einseitige Preiserhöhungen seitens Gazprom oder durch Kriege, wie die Eroberung der Krim 2014 und den aktuellen Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine. Sie gipfelten mehrfach in Lieferunterbrechungen seitens Russlands. Am 1. Januar 2006 stellte Russland erstmals die Lieferungen durch die ukrainische Pipeline ein und verursachte bereits damals erhebliche Schwierigkeiten in der Energieversorgung der EU. Seit dem 1. Januar 2025 sind die russischen Erdgaslieferungen durch die Ukraine endgültig gestoppt.

Bundestagsantrag Europäische Biogasstrategie

Diese erste Abschaltung russischer Erdgaslieferungen im Jahr 2006 zeigte nicht nur mir die Unzuverlässigkeit und die hohen Gefahren der Erpressbarkeit infolge der Erdgasabhängigkeit Europas von russischen Lieferungen auf.

Daher formulierte ich 2006 einen Bundesantrag, den die grüne Bundestagsfraktion in das Parlament einbrachte. Die Mehrheit aus SPD und CDU/CSU lehnte diesen Antrag ab.

Es war wohl die Zeit, als der gerade 2005 aus dem Amt geschiedene Ex-Kanzler Schröder mit seiner SPD und die Union unter Kanzlerin Merkel begannen, die Abhängigkeit der EU von russischen Erdgaslieferungen auszubauen – unter anderem mit dem Plan zum Bau der Pipelines Nord Stream.

Die ungeheuerlichen Hintergründe dazu sind gerade im neuen Buch „Nord Stream – Wie Deutschland Putins Krieg bezahlt“ schonungslos aufgezeigt worden.

Die Forderungen an die schwarz-rote Bundesregierung waren in diesem Bundestagsantrag von Bündnis 90/Die Grünen unter anderem:

  • ein Einspeisungsgesetz für Biogas vorzulegen, das wirksame Anreize zur Einspeisung von Biogas in das Gasnetz schafft. Zudem muss die vorrangige Aufnahme und Durchleitung von Biogas festgeschrieben werden. Als Vorbild sollte das Erneuerbare-Energien-Gesetz für den Strombereich dienen;
  • eine europäische Biogaseinspeisungsstrategie zu initiieren und voranzutreiben. Dabei sollte insbesondere mit den mittel- und osteuropäischen Ländern kooperiert werden, durch die Erdgaspipelines aus Russland führen. Die Bundesregierung sollte unter anderem auf EU-Ebene darauf hinwirken, die Biogas-Einspeisungsstrategie über die Grenzen der EU hinaus auszuweiten. Auch die zukünftigen Beitrittsländer sowie Russland, die Ukraine und Weißrussland sollten dazu eingeladen werden, sich an dieser Initiative zu beteiligen;
  • innerhalb der Biogasstrategie nachhaltige Anbaumethoden für Energiepflanzen zu fördern, die den Anbau großflächiger Monokulturen und den Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen ausschließen.

In der Begründung des grünen Bundestags-Antrags von 2006 heißt es:

„Nicht zuletzt der russisch-ukrainische Streit um Gaslieferungen hat Deutschland und Westeuropa die eigene hohe Abhängigkeit von Energieimporten vor Augen geführt. Es ist abzusehen, dass mit der Endlichkeit der fossilen Energierohstoffe und des Urans politische Spannungen und Konflikte zunehmen werden. Deshalb muss es Ziel einer zukunftsfähigen Energiepolitik sein, die Abhängigkeiten unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft von Mineralöl, Kohle, Gas und Uran deutlich zu verringern – für eine höhere Versorgungssicherheit, aber auch aus Gründen der Ökologie und des Klimaschutzes.“

Die EU könnte die russischen Erdgaslieferungen vollständig mit Biogas und anderen Erneuerbare Energien ersetzen

Ebenfalls im Jahr 2006 habe ich zusätzlich federführend für die Grüne Bundestagsfraktion eine Studie in Auftrag gegeben, um die Möglichkeiten einer europäischen Biogas-Einspeisungsstrategie zu erforschen.

Ziel war es herauszufinden, ob es in Europa genügend Biogas-Potenzial entlang der bestehenden Erdgaspipelines gibt, um diese mit klimafreundlichem Biogas statt mit klimaschädlichem Erdgas zu füllen. In der Untersuchung wurde vorausgesetzt, dass alle beteiligten Länder vorrangig ihre Lebensmittelversorgung weiterhin selbst sichern. Nur darüberhinausgehende Flächenpotenziale entlang der Erdgaspipelines wurden in der Studie berücksichtigt.

Zentrales Ergebnis der Studie:

Die ermittelten Potenziale könnten perspektivisch fossiles Erdgas im Umfang von ca. 500 Mrd. m³ pro Jahr ersetzen, was in etwa dem damaligen Erdgasverbrauch der EU-28 entsprach.

In der Studie wurden alle EU-Länder sowie die Ukraine, Weißrussland und der europäische Teil Russlands erfasst. Diese ehemaligen Länder der Sowjetunion wurden einbezogen, da durch sie die großen Erdgaspipelines von Russland in die EU führen.

Leider ist der Erdgasbedarf in der EU seit 2006 deutlich gestiegen – unter anderem, weil die damals bereits bekannten Möglichkeiten missachtet wurden, Erdgas durch Energieeinsparungen und Erneuerbare Energien zu ersetzen. Dazu gehören: Wärmepumpen statt Erdgasheizungen, bessere Hausdämmungen sowie der Ersatz von Erdgaskraftwerken durch Solar- und Windenergie, Speichertechnologien, Bioenergie, Wasserkraft und Geothermie. Ebenso hätte eine europäische Biogas-Einspeisestrategie dazu beitragen können, schwerer ersetzbare Erdgasmengen für die Industrie – etwa in der chemischen Produktion – oder in der Kraft-Wärme-Kopplung, beispielsweise für Nahwärmenetze, bereitzustellen.

Um die Erdgaslieferungen aus undemokratischen und geopolitisch riskanten Ländern wie Russland, Aserbaidschan, den USA oder den arabischen Staaten vollständig zu ersetzen, ist keine Eins-zu-eins-Substitution von Erdgas durch Biogas erforderlich. Es reicht, Biogas und Biomethan gezielt für schwer ersetzbare Anwendungen einzusetzen, während der große Rest durch andere erneuerbare Energien und Energieeinsparungen substituiert werden kann.

Die Folgen der weitgehenden Missachtung einer europäischen Biogasstrategie unter den Regierungen Merkel – mit ihren Koalitionspartnern SPD und FDP – sowie der EU-Kommission sehen wir heute: eine prall gefüllte Kriegskasse Russlands, eine erpressbare und durch Energieabhängigkeit geschwächte EU, hohe Erdgaspreise, die durch das Merit-Order-Prinzip auch die Strompreise in die Höhe treiben, und vor allem ein massiv aufgeheiztes Erdklima, das uns mit immer extremeren Wetterereignissen der Klimakatastrophe immer näher bringt.

Und auch in der sich abzeichnenden Regierungskoalition aus Union und SPD ist nichts, aber auch gar nichts zu erkennen, dass endlich einen schnellen Ausstiegspfad aus der Nutzung von Erdgas und Erdöl vorsehen würde. Hätte es nach 2006 – aufbauend auf dem mit dem EEG im Jahr 2000 begonnenen – einen beschleunigten Ausstieg aus den fossilen Energien gegeben, wären wir einem gesamteuropäischen Frieden, echtem Klimaschutz und einer unabhängigen Energieversorgung viel näher – vielleicht schon bei 100 % Erneuerbaren Energien.

Die erste ukrainische Biogas-Einspeisung in das EU-Erdgasnetz sollte uns Ansporn sein, unsere eigenen nationalen Anstrengungen zum Ausstieg aus allen fossilen Energien endlich massiv zu beschleunigen. Wenn mitten im Krieg in der Ukraine eine solch starke Innovation gelingt, sollte es uns beschämen, dass wir in der EU immer noch viel zu langsam sind, um Ähnliches zu schaffen.

Quelle: Weiterlesen