Etwa 20 Prozent der Klimagasemissionen in Deutschland werden durch die Industrie verursacht. Damit ist der Industriesektor nach der fossilen Energieerzeugung (mit ca. 38 Prozent) der zweitgrößte Klimagasemittent, gefolgt vom Verkehr mit ca. 18 Prozent und den Haushalten mit 10 Prozent.

Dass Wirtschaftsminister Robert Habeck ein Förderprogramm auflegen will, um Industrie und Mittelstand bei Klimaschutzaktivitäten zu unterstützen ist daher gut und richtig. Eine Voraussetzung für die Förderung ist die Umstellung auf 100 Prozent Ökostrom und die drastische Reduzierung anderer Emissionsquellen. Unternehmen in Branchen wie Stahl, Chemie, Zement oder Glas sollen gefördert werden.

Ist Wasserstoff die entscheidende Maßnahme in einer grünen Industrieproduktion?

Die entscheidende Frage ist nun, welche Maßnahmen am effektivsten sind, um die Industrieproduktion auf eine Nullemissionsbasis oder sogar zu einer kohlenstoffsenkenden Wirtschaftsweise zu bringen.

In der politischen Diskussion wird dabei häufig die Umstellung auf Wasserstoff diskutiert. Tatsächlich wird grüner Wasserstoff, der aus Ökostrom oder durch Photosynthese aus Algen gewonnen wird, eine wichtige Rolle spielen. Wasserstoff aus Erdgas oder Atomstrom sollte jedoch vermieden werden, da dies die Klima- und Umweltprobleme nicht löst. Die EU-Kommission wird wahrscheinlich weiterhin Erdgas, blauen Wasserstoff und CCS (Carbon Capture and Storage) als Klimaschutzmaßnahmen anerkennen. Es ist auch keine Lösung grünen Wasserstoff aus fernen Ländern wie Namibia oder der Golfregion zu importieren, da der Aufbau der erforderlichen Infrastruktur lange dauert und mit hohen Kosten und Ineffizienzen verbunden ist. Zudem ist es geopolitisch riskant die Abhängigkeit von fossilen Energien aus unsicheren und autokratischen Ländern durch Wasserstoffabhängigkeiten zu ersetzen.

Zielführende strategische Lösungsansätze für eine Nullemissionsindustrie

Die vier emissionsstärksten Zweige der Industrie sind die Stahl- und Eisenherstellung mit ca. 35 Prozent, gefolgt von Raffinerien mit ca. 22 Prozent, Zementherstellung mit ca. 20 Prozent und chemischer Industrie mit ca. 17 Prozent. Alle diese und andere Industriezweige sollten ihre Klimagasemissionen bis 2030 weitgehend auf Null reduzieren. Das neue Förderprogramm gibt jedoch bis 2045 Zeit für die Umstellung auf 100 Prozent Erneuerbare Energien und den Abschied von fossilen Rohstoffen wie Erdöl, Kohle und Erdgas.

Chemieindustrie

Die Emissionen der fossilen Raffinerien werden automatisch mit der Umstellung auf 100 Prozent Erneuerbare Energien und erneuerbare Rohstoffe – also mit dem Ende der Nutzung von Erdöl, Erdgas und Kohle – beendet, weil sie dann schlicht nicht mehr benötigt werden.

Eine Ausnahme bilden die Bioraffinerien, die schnell an Bedeutung gewinnen müssen. Ein Beispiel dafür ist der in der chemischen Industrie weit verbreitete Grundstoff Naphtha. Ziel sollte sein Naphtha und andere fossile Grundchemikalien nicht mehr auf Basis von Erdöl und Erdgas, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen wie Pflanzenölen oder Algen, also Bio-Naphtha, herzustellen.

Die gesamte Kunststoffchemie sollte weitgehend auf nachwachsende Rohstoffe umgestellt werden. Am besten wäre es, Plastikprodukte aus ökologisch angebauten, nachwachsenden Rohstoffen herzustellen, die nach ihrer Nutzungsdauer von selbst verrotten und somit dem Kreislauf der Natur zurückgegeben werden können. Dies wäre die entscheidende Strategie, um die weitere Verschmutzung der Meere und Landschaften durch Plastikabfälle sowie die Klimagasemissionen aus Müllverbrennungsanlagen zu stoppen.

Stahlherstellung

Die wichtigste Strategie zur Vermeidung von Emissionen aus der Stahlherstellung ist schlicht die Vermeidung der Nutzung von Stahl. Dies wird von den Stahlherstellern bekämpft werden, so wie die Mineralölindustrie das Ende der Nutzung von Erdöl und Erdgas bekämpft.

Doch die Potentiale, Stahl zu vermeiden, sind erheblich. Eine Halbierung der Stahlverwendung ist möglich und wäre anzustreben, auch wenn man nie ganz auf Stahl verzichten kann – im Gegensatz zu Erdöl oder Erdgas.

Hauptsächlich wird Stahl in der Bauindustrie (35 Prozent), insbesondere als Stahlbeton, verwendet, und in der Fahrzeugindustrie (20 Prozent) zum Karosseriebau.

Als Ersatz für Stahlbeton stehen vor allem Holzbauten sowie Bauten mit Textilbeton zur Verfügung. Textilien aus nachwachsenden Rohstoffen, wie Bambus oder Carbonfasern, stehen längst als Bewehrung für Beton zur Verfügung. Damit könnte Beton sogar zur Kohlenstoffsenke werden, da die nachwachsenden Rohstoffe das CO2 aus der Atmosphäre entziehen und dann im Beton über Jahrhunderte speichern. Zudem kann der Zementbedarf für Beton um über ein Drittel reduziert werden, wenn Stahl durch Textilien oder Carbonfasern ersetzt würde. Auch die Betoneigenschaften, z.B. die Erdbebensicherheit oder die Korrosionsanfälligkeit – und damit die Langlebigkeit von Betonbauten – können sich so deutlich verbessern. Angesichts der vielen aktuell sanierungsbedürftigen Stahlbetonbrücken, die zum Teil erst vor 30 Jahren gebaut wurden, ist dies ein wesentlicher Vorteil.

Vor über 10 Jahren hatte ich die Windbranche auf einem Kongress aufgefordert, doch Textilbetontürme statt Stahlbetontürme zu bauen. Doch es gibt bis heute keine dynamische Entwicklung dazu. So innovativ die Windbranche mit immer größeren und effizienteren Windkraftwerken ist, so wenig innovativ ist sie, wenn es um die verwendeten Materialien geht. Für Textilbeton in den Windtürmen oder Carbonfasern für die Windflügel aus nachwachsenden Rohstoffen hätte die Windbranche längst den Durchbruch schaffen können.

Auch die Automobilindustrie hätte als zweitgrößter Stahlnutzer im Karosseriebau längst auf Bauteile aus nachwachsenden Rohstoffen umstellen können. Entsprechende Innovationen liegen seit Jahren in den Schubladen von Forschungseinrichtungen. Dabei wäre eine Karosserie aus Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen auch erheblich leichter, was den Stromverbrauch der E-Autos deutlich reduzieren würde.

Insbesondere Bambus als Grundstoff für verschiedenste Verbundwerkstoffe hat eine große Zukunft. Die chinesische Regierung fördert die Entwicklung entsprechender Technologien stark.

Europa muss auch in diesem Feld der Bioökonomie aufpassen den Anschluss nicht zu verpassen, so wie es bereits in der Solarindustrie, den Speichern oder E-Mobilen geschehen ist.

Natürlich ist Stahl ein wertvoller Industrierohstoff mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten, so dass er auch in Zukunft nicht völlig wegzudenken ist. Daher ist auch die Stahlherstellung weg von der fossilen Kokskohle anzustreben. Hier ist grüner Wasserstoff als alleiniger Ersatz im öffentlichen Blick. Kaum beachtet, aber viel leichter umzusetzen als grüner Wasserstoff, wäre ein einfacher Wechsel von fossiler Kohle hin zu Biokohle, erzeugt z.B. aus Klärschlamm bzw. der Biotonne mit hydrothermaler Carbonisierung oder Pyrolyse. Der höchst klimaschädliche Irrweg der Klärschlammverbrennung hätte damit sein Ende gefunden. Der luxemburgische Stahlriese ArcelorMittal hat bereits begonnen, Biogas und Biokohle für sein Stahlwerk als Ersatz für Erdgas und fossile Kohle einzusetzen. Auch in metallurgischen Prozessen kann Biokohle vielfältig als Ersatz für fossile Kohle dienen.

Zementherstellung

Für die Zementherstellung selbst gilt das Gleiche wie für die Stahlherstellung. Ein großes Einsparpotential liegt brach. Holzbauten brauchen außer für Fundamente gar keinen Zement, und Textilbeton kommt mit bis zu zwei Dritteln weniger Zement aus als Stahlbeton.

Zudem gibt es innovative Zementherstellungsverfahren, die den CO2-Ausstoß um zwei Drittel reduzieren können, wenn z.B. ein bisher ungenutzter Abraum aus dem Bauxitabbau als Rohstoff genutzt wird. Diese Alternative erweist sich als genauso stabil wie der herkömmliche Portlandzement.

Innovationsunterstützung für Produktionsweisen ohne Zement, Stahl und fossile Rohstoffe in der Chemie ist entscheidend

Das von Robert Habeck aufgelegte Förderprogramm für die Umstellung auf grüne Wirtschaftsweisen benötigt zwingend ein zweites Programm, das die Hersteller von Textilbeton, alternativem Zement, Biokohleverfahren, Biokunststoffen und anderen emissionsfreien Produktionsverfahren unterstützt.

Wenn dies nicht schnell genug gelingt, wird auch in diesen Wirtschaftszweigen China zunehmend die Weltmärkte beherrschen. Die Abhängigkeit von China in der Solarindustrie oder bei Batterien sollte Mahnung genug sein, um endlich auch in diesen Bereichen eine Industrieentwicklung aufzubauen. Entscheidend wird dabei sein, dass die Politik in der EU nicht wieder von den Interessen der Konzerne in der Stahl-, Chemie- und Zementherstellung dominiert wird, die eine Verringerung ihrer Absatzmärkte fürchten, statt im Wettbewerb um Klimaschutztechnologien offensiv nach vorne zu gehen.

All die erwähnten Beispiele kommen gänzlich ohne Wasserstoff aus. Die aufgezeigten Beispiele sind nur ein kleiner Ausschnitt aus einem riesigen Feld von Innovationen, wie sie gerade auch in deutschen Forschungseinrichtungen entwickelt wurden. Leider schlummern die meisten von ihnen unbeachtet in den Schubladen, statt offensiv gefördert zu werden.

Die weitgehende Fixierung auf Wasserstoff in der Industrieproduktion ist aus Sicht der Technologieführerschaft und aufgrund zu langer Entwicklungsprozesse gefährlich für die EU-Wirtschaft und den Klimaschutz, wenn dadurch andere emissionsfreie Industrieverfahren im Markthochlauf nicht gefördert werden.

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