Das OVG Lüneburg hat sich in seinem Beschluss vom 19.07.2021 (Az.: 1 ME 75/21) mit der Frage befasst, wann eine bewilligte Abstandsbaulast dem Bestimmtheitsgebot genügt.
Plant ein Vorhabenträger die Errichtung einer baulichen Anlage, hat er dabei zu den Grenzen der Nachbargrundstücke bestimmte Abstandsflächen einzuhalten. Für die Bemessung des einzuhaltenden Grenzabstands gilt grundsätzlich das Maß H (Höhe). Dies ist Folge des sog. nachbarrechtlichen Rücksichtnahmegebots. Die Vorschriften der Landesbauordnungen sind daher teilweise dispositiv. Nach §§ 5 Abs. 5 S. 2, 6 Abs. 2 NsBauO kann von den Abstandsvorgaben abgewichen werden, wenn durch Baulast gesichert ist, dass auch bauliche Anlagen auf dem benachbarten Grundstück den vorgeschriebenen Abstand von der bestimmten Grenze einhalten.
Hintergrund der Entscheidung
Dem Eigentümer (späterer Beigeladener) eines Grundstücks wurde am 05.03.2021 durch die Gemeinde (spätere Antragsgegnerin) eine Baugenehmigung für den Bau einer Doppelgarage erteilt. Die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vor dem OVG Lüneburg war die Eigentümerin des unmittelbar angrenzenden Grundstücks. Zwei Jahre zuvor wurde durch die Antragstellerin die Eintragung einer sog. Abstandsbaulast bewilligt. Darin gestattete die Antragstellerin (sowie seinerseits der Beigeladene) sinngemäß, für die Bemessung des Grenzabstands für Vorhaben auf dem benachbarten Grundstück die Nutzung einer Teilfläche ihres Grundstücks. Der beigefügte Lageplan stellte lediglich eine in der Tiefe begrenzte Baulastfläche – unmittelbar gegenüber vom Wohnhaus der Antragstellerin – dar. Der Abstand zwischen der Baulast und dem Wohnhaus betrug demnach noch ca. 2 m. Der Beigeladene plante – unter Einhaltung der Baulastfläche – die Errichtung der Garage mit einer Höhe von ca. 5, 30 m.
Die Antragstellerin wandte sich gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung. Sie vertrat die Rechtsauffassung, die Baugenehmigung beruhe auf einer nichtigen bzw. rechtswidrigen Baulast. Aufgrund der Höhe des Vorhabens käme es zu unzumutbaren Verschattungen, daher sei die Baulast wegen des Verstoßes gegen § 3 Abs. 1 NsBauO nichtig. Mangels hinreichender Bestimmtheit sei sie auch rechtswidrig.
Erwägungen im Beschluss
Das OVG hat die Beschwerde der Antragstellerin als unbegründet zurückgewiesen. Interessanterweise stellte der Senat zunächst fest, dass in der Bewilligung einer Baulast regelmäßig als minus die Erklärung liege, ihre Ausnutzung nicht mit Rechtsbehelfen angreifen zu wollen (sog. Rechtsmittelverzicht). Demzufolge würde eine entsprechende Klage bereits am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis scheitern.
Eine Nichtigkeit der Baulast wegen unerträglicher Zustände komme im Übrigen nicht in Betracht, da die (vermeintlich) verschatteten Räume nach der Niedersächsischen Bauordnung nicht auf Belichtung durch Fenster angewiesen seien.
Die Baulast stelle sich auch als hinreichend bestimmt dar. Das Bestimmtheitsgebot folgt aus Art. 20 Abs. 3 GG, es besagt – abstrakt formuliert – Verwaltungshandeln muss klar verständlich sein, damit der Bürger die Möglichkeit hat, sich rechtstreu zu verhalten. Das gilt auch für die Baulast, da diese Grundlage für eine Baugenehmigung sein kann. Es genüge – so das OVG Lüneburg – für die Bestimmtheit der Baulast, dass die Tiefe der Baulastfläche den Kreis der mit der Baulast ermöglichten Vorhaben hinreichend eingrenze. Zulässig sei nicht jedes beliebige, sondern nur ein Vorhaben, das den Grenzabstand nach § 5 NBauO zur fiktiv verschobenen Grundstücksgrenze wahre. Dies sei ausreichend, um die Rechtswirkungen der Bewilligung verlässlich einzugrenzen.
Fazit
Das OVG Lüneburg prüft in seiner Entscheidung lehrbuchmäßig am Gesetz entlang. Bei der Bewilligung einer Baulast ist also Vorsicht geboten. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte die möglichen Vorhaben durch eine genaue Bezeichnung der Baulast eindeutig begrenzen. Darüber hinaus zeigt die Entscheidung, für die Frage der Nichtigkeit bzw. Rechtswidrigkeit einer Baulast, kommt es entscheidend auf den Schutzzweck des Abstandsflächenrechts an.