Die Mehrheit der BerlinerInnen hat beim Volksentscheid „Klimaneutrales Berlin 2030“ am Sonntag mit Ja gestimmt. Und damit auch für 100% Erneuerbare Energien bis 2030 und einen Klimaschutz, der ernsthaft wirksam ist. Die gut 440.000 Stimmen, die für den Volksentscheid mit Ja stimmten, sind sogar mehr, als irgendeine Partei in der letzten Abgeordnetenwahl in Berlin bekommen hat.

Mit einer Wahlbeteiligung von 35,8 Prozent hat der Klima-Volksentscheid auch eine Wahlbeteiligung erreicht, die für eine Volksabstimmung abseits von regulären Wahlterminen überdurchschnittlich hoch ist. Bei den zwei zuletzt durchgeführten Berliner Volksentscheiden ohne zeitgleiche Wahl fiel die Wahlbeteiligung stets geringer aus. Das ist ein Erfolg der Klimaneustart Bewegung. Die Verzögerungstaktik der SPD-Innensenatorin, die den Volksentscheid entgegen der eigentlichen Berliner Vereinbarung von der Wahl trennte, muss als wesentlicher Grund für das Scheitern beim Quorum gesehen werden. Wäre der Volksentscheid parallel zur Wahl des Abgeordnetenhauses durchgeführt worden, wäre das Quorum sicher erreicht worden. Hier ist auch Aufarbeitung nötig.

Gesetzgebungsgrundlagen für Volksentscheide sind antidemokratisch

Nun tritt das Klimagesetz nicht in Kraft, da das Quorum – also die Mindestanzahl von abgegeben Stimmen – von 607 000 Stimmen nicht erreicht wurde. Bei Wahlen, wo es um Sitze in Parlamenten geht, gibt es ein solches Quorum nicht, mit gutem Grunde. Denn hätte das gleiche Quorum bei der Wahl zum letzten Abgeordnetenhaus in Berlin auch gegolten, dann säße heute niemand im Abgeordnetenhaus. Ihre Ergebnisse lagen alle deutlich darunter.

Wenn nicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet, sondern ob überhaupt genügend Wahlberechtigte zur Wahl gehen, dann bevorzugen diese Regelungen diejenigen, die nicht zur Wahl gegangen sind. Das ist undemokratisch. Denn es haben diejenigen entschieden, die weder am Thema noch an der demokratischen Willensbildung interessiert sind.

Der Verein Mehr Demokratie e.V. fordert daher die Abschaffung von Quoren per Gesetzesänderung in den Landesgesetzen, die Volksentscheide regeln. Diese Forderung existiert aus der Gründungszeit von Mehr Demokratie in den neunziger Jahren, als es eine große Demokratiebewegung vor allem in Bayern gab. In Berlin zeigte sich erneut, wie demokratiefeindlich die Quoren sind.

Viele Medien machten Stimmung gegen das Volksbegehren

Das Ergebnis des Berliner Volksentscheids zeigt allerdings auch auf, dass ein großer Teil der Bevölkerung mit allen bisherigen politischen Beschlüssen für Klimaschutzaktivitäten nicht einverstanden ist.

Bemerkenswert ist dies vor allem deshalb, weil es in den Tagen vor der Abstimmung eine große Medienkampagne gegen das Ja im Volksentscheid gab. Ausserdem wurden in sozialen Medien mit einer gezielten Kampagne von Trollen Stimmung gegen den Volksentscheid gemacht, und Kommentarspalten von Medienberichten darüber mit negativen Kommentaren geflutet. Im Zentrum der Kampagne standen die immer gleich lautenden Argumente: Es sei unrealistisch, Klimaneutralität bis 2030 zu schaffen. Zudem sei das angeblich nicht finanzierbar, und natürlich: Die sozial Schwachen könnten abgehängt werden. Dass es gerade die sozial Schwachen waren, die in der Energiekrise bis heute unter den hohen Erdgas- und Erdölpreisen leiden, wurde nicht thematisiert und natürlich auch nicht, dass es solche Energiekrisen nicht mehr geben wird, wenn wir eine Umstellung auf 100 % Erneuerbare Energien geschafft haben.

Was bedeutet ein „unrealistisches“ Ziel?

Aber was bedeutet es denn, wenn man Klimaneutralität 2030 als unrealistisch bezeichnet?

Im Endeffekt ist es die Kapitulation vor der weiteren beschleunigten Aufheizung der Atmosphäre mit allen Katastrophenkonsequenzen bis hin zum kollektiven Selbstmord der Menschheit (Antonio Guterres).

Mit dem Argument „unrealistisch“ wird also gerade das bezeichnet, was zur Rettung der menschlichen Zivilisation absolut notwendig ist. Statt dessen ist „machbar“, was von den fossilen Managern der Klimakatastrophe als „machbar“ im Sinne ihrer fossilen Geschäftsinteressen gehalten wird – in Konsequenz also die Kapitulation der Menschen vor der Erdüberhitzung.

Realismus ist aber das: schon jetzt fordert die Klimakatastrophe höchst dramatisch immer mehr Tote durch Hitzewellen, Katastrophenfluten, durch Dürren ausgelöste Ernteausfälle und Konflikte um knapper werdende natürliche Ressourcen. Wer also wie Medien, fossile Wirtschaft und auch große Teile der Berliner Politik Klimaneutralität 2030 als unrealistisch brandmarkt, drückt nur immer schneller auf das Gaspedal „auf dem Highway zur Klimahölle“ (UN Generalsekretär Antonio Guterres).

Vor diesem Hintergrund ist es zutiefst zu verurteilen und ein Ausdruck absoluten politischen Versagens, dass die politischen Parteien AFD, SPD, CDU, FDP das Scheitern des Volksentscheids sogar feierten. SPD, CDU und FDP machen sich plötzlich gemein mit der den menschengemachten Klimawandel leugnenden AFD. Die Berlinerinnen haben eine andere Politik verdient.

Der verlorene Volksentscheid wird sich als Schub für ein Klimaneutrales Berlin 2030 entpuppen.

Nicht jede*r, der am Sonntag mit NEIN stimmte, ist aber gegen Klimaschutz. Die hohe Mobilisierungsquote lässt hoffen, dass auch unter den NeinStimmen, die zur Wahl gegangen sind, beim Thema Klimaschutz bereits sensibilisiert sind.

Für die klimabewegte Zivilgesellschaft ist die Abstimmung ein großer Erfolg. Im Vergleich zum Volksbegehren im November letzten Jahres hat sich die Zahl der aktivierten UnterstützerInnen für Klimaschutz mehr als verdoppelt. Besonders in den letzten Wochen haben sich Tausende mit riesigem aktivem Engagement für das Volksbegehren eingesetzt. Und hier liegt auch das Potenzial für den Klimaschutz, nicht nur für Berlin.

Darum überwog auf der Wahlparty am Sonntagabend in Berlin nach der ersten Enttäuschung die Entschlossenheit, sich jetzt erst recht weiter für Klimaschutz einzusetzen. Denn Aufgeben ist für alle keine Option.

Zeit für PLAN B

Einen spannenden und gut begrüßten Auftakt legte die Initiative PLAN B hin, die schon im Vorfeld des Volksentscheids auf den Weg gebracht wurde und am gleichen Abend mit einer Website live ging. Ihr Ziel ist es, die Klimaneutralität 2030 aus der Zivilgesellschaft heraus nun praktisch umzusetzen. PLAN B will dafür mit einem Netzwerk von kleineren Initiativen und Organisationen eine Aktionsplattform betreiben, in der kleine und große Beiträge für die Berliner Klimaneutralität bis 2030 angeschoben werden sollen. Aufbauend auf dem Kiezgruppennetzwerk von Klimaneustart und anderen Partnerorganisationen sollen langfristig Nachbarschaftsgruppen in allen Kiezen Berlins gegründet werden, die gemeinsam an der Umsetzung arbeiten, sichtbare positive Veränderungen in die Straßen und Nachbarschaften bringen, und so für mehr Akzeptanz und politische Nachfrage sorgen. Dazu soll eine Transformationsallianz die Arbeit der Berliner Zivilgesellschaft rund um den Volksentscheid weiter ausbauen und verstetigen und strukturelle Hürden aus dem Weg räumen.

Auch andere anwesende Gruppen – von Fridays for Future bis Letzte Generation und bürgerlichen Gruppen aus dem For Future Netzwerk – präsentierten ihre Ideen fürs weitermachen: Schülerselbstbaugruppen für die Wärmedämmung von Schulen und Häusern, für Do-it-yourself-Gruppen für Solarpaneele-Installation oder Urban Gardening. Gleichzeitig sollen öffentliche Kampagnen geschaffen werden, damit das Bewusstsein für die Machbarkeit eines klimaneutralen Berlin 2030 auch bei den bislang zweifelnden BerlinerInnen steigt und aktiv daran mitarbeiten können.

Das gescheiterte Volksbegehren könnte sich also für die fossile Wirtschaft als Pyrrhussieg erweisen. Die Bewegung, die rund um den Volksentscheid entstanden ist, wird nun neue Kräfte entwickeln, die dezentral in tausenden Projekten nun wirksamen Klimaschutz organisieren werden.

Mitmachaktionen für den Klimaschutz und Bewusstseinsänderung über eine positive Aufklärungskampagne über die Vorteile von Klimaschutz können schon bald an Fahrt aufnehmen, glaubt man der Stimmung der vielen Klimaaktivisten am Wahlabend. Dann wäre der verlorene Volksentscheid die entscheidende Initialzündung, dass Berlin am Ende den Weg zu 2030 klimaneutral und zu 100% mit Erneuerbare Energien schaffen wird.

Quelle: Read More