Meine Sicht auf den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SDP – Hans-Josef Fell – Botschafter für 100% Erneuerbare Energien
Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD muss noch von den Parteigremien genehmigt werden, insbesondere von den Mitgliedern der SPD. Ich halte dies jedoch für eine Formsache. Die neue Regierung wird aller Voraussicht nach wie geplant gebildet und ihre Arbeit im Mai aufnehmen.
In einem Koalitionsvertrag werden die gemeinsamen Arbeitsziele vereinbart. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass längst nicht alles, was darin vereinbart wird, tatsächlich in Gesetzesform umgesetzt wird. Vieles kann sich – abhängig von den gesellschaftlichen Herausforderungen – auch ganz anders entwickeln.
Den vollständigen Koalitionsvertrag findet man hier:
https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag_2025.pdf
Klimaschutz
In der Präambel werden die aus Sicht der Koalition wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderungen benannt – Klimaschutz wird dort jedoch nicht einmal erwähnt. Das ist angesichts der globalen Klimakrise mehr als erschreckend. Die Menschheit rast, wie UN-Generalsekretär António Guterres es ausdrückt, „mit Volldampf in die Klimahölle“.
Im Kapitel Klima und Energie heißt es:
„Wir stehen zu den deutschen und europäischen Klimazielen, wohlwissend, dass die Erderwärmung ein globales Problem ist und die Weltgemeinschaft es gemeinsam lösen muss. Dafür setzen wir das Pariser Klimaabkommen um und verfolgen das Ziel der Klimaneutralität 2045 in Deutschland …“
Diese Formulierung verkennt die Dramatik der aktuellen Lage und spiegelt die Ignoranz der rasanten Aufheizung der Erde der letzten Jahre wider. Das Pariser Klimaziel von 2015 strebt an, die globale Erwärmung möglichst auf 1,5 °C zu begrenzen. Doch bereits 2024 lag die globale Mitteltemperatur 1,6 °C über dem vorindustriellen Niveau. Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich diese Entwicklung umkehrt – im Gegenteil: Bis 2030 könnten bereits 2 °C überschritten werden. Die Energy Watch Group wird diese alarmierende Prognose demnächst in einer neuen wissenschaftlichen Kurzstudie untermauern.
Statt darauf zu reagieren, hält der Koalitionsvertrag an nationalen und europäischen Klimazielen fest, die vor vielen Jahren formuliert wurden – als die globale Temperatur noch unter 1,1 °C lag. Diese Ziele ermöglichen bis 2045 bzw. 2050 weiterhin erhebliche Emissionen. Zudem sollen diese unzulänglichen Klimaschutzziele sogar abgeschwächt werden, etwa durch die Möglichkeit, europarechtswidrig nationale Emissionsminderungen sogar im außereuropäischen Ausland zu vereinbaren.
Darüber hinaus plant die Koalition, fossile Subventionen weiterzuführen oder sogar auszubauen – etwa durch die vollständige Steuerbefreiung des Agrardiesels oder die Erhöhung der Pendlerpauschale. Auch der Kohleausstieg wird – entgegen früherer Zusagen – nicht bis 2030, sondern erst bis 2038 angestrebt. Ein fatales Signal.
Viele „Klimaschutzmaßnahmen“ im Koalitionsvertrag sind gar keine
Die Koalition plant weiterhin, massiv in fossile Anwendungen zu investieren: in neue Gaskraftwerke an zentralen Standorten, in blauen und grauen Wasserstoff aus Erdgas, in neue Erdgasbohrungen – auch in Deutschland – sowie in CCS (Kohlendioxidabscheidung und -deponierung) als komplett untaugliche Scheinmaßnahme für den Klimaschutz.
Auch wenn CCS selbst vom Weltklimarat befürwortet wird, so ist das dennoch nichts anderes als ein Propagandainstrument der fossilen Wirtschaft, um ihre eigenen klimaschädlichen Geschäfte mit Kohle, Erdgas und Erdöl weiterführen zu können. CCS kann CO₂ nur an den Schornsteinen von fossilen Kraftwerken abscheiden. Doch selbst dabei wird nicht alles CO₂ aufgefangen – ein beachtlicher Teil gelangt weiter in die Atmosphäre. An den Bohrlöchern von Erdöl und Erdgas entweichen große Mengen CO₂ und Methan, ebenso wie in Kohlegruben. Nichts davon kann CCS abscheiden. Alles entweicht weiterhin in die Atmosphäre und heizt sie auf. Leckagen in Erdgaspipelines lassen Methan entweichen, und ob die Verpressung von CO₂ in den Untergrund dieses dort dauerhaft über hunderte Jahre festhält, ist unbelegt und höchst zweifelhaft. Tatsächlich wird CO₂-Verpressung bislang von Erdöl- und Erdgasfirmen dazu genutzt, um noch die letzten Reste aus ihren Feldern herauszupressen. Von Klimaschutz durch CCS – keine Spur.
Atomenergie
Beachtenswert ist, dass der Vorschlag – vor allem von CSU-Chef Söder –, den Abriss von sechs stillgelegten Kernkraftwerken zu stoppen, um sie weiter zu betreiben, sich nun doch nicht im Koalitionsvertrag wiederfindet. Auch ein Neubauziel für kleine und modulare Atomkraftwerke ist dort nicht enthalten. Das ist ein großer Erfolg der SPD, die sich von Vernunft statt von Atompropaganda hat leiten lassen.
Leider findet sich jedoch die Forschungsunterstützung für die Kernfusion im Koalitionsvertrag. Sie wird weiterhin viel Forschungsgelder verschlingen – wie bereits in den letzten 70 Jahren –, die den Erneuerbaren Energien fehlen werden. Aber die Kernfusion wird sicher nicht mehr zu Lebzeiten von Söder und Merz Realität werden, auch wenn sie gerne einen Kernfusionsreaktor eingeweiht hätten. Laut Koalitionsvertrag soll dieser weltweit erste Reaktor nämlich in Deutschland entstehen.
Zu den gravierenden Problemen der Atommüll-Endlagersuche steht nichts im Koalitionsvertrag. Scheinbar stört es sie nicht, dass sich kein Endlager vor 2100 abzeichnet, die unsicheren Atommüllzwischenlager an den AKW-Standorten nur eine Betriebsgenehmigung bis 2050 haben und viele Atommüllfässer zunehmend verrotten. Die reale und brisante Gefahr einer radioaktiven Verseuchung der Umgebung dieser Zwischenlager scheint aus den Köpfen der Koalitionäre verschwunden zu sein – real ist sie dennoch.
Erneuerbare Energien: Viel Bemerkenswertes im Koalitionsvertrag
Wörtlich ist im Koalitionsvertrag geschrieben:
„Bei der Energiewende machen wir Wirtschaft und Verbraucher stärker zu Mitgestaltern (unter anderem durch Entbürokratisierung, Mieterstrom, Bürgerenergie und Energy Sharing). Wir wollen alle Potenziale der Erneuerbaren Energien nutzen. Dazu gehören Sonnen- und Windenergie sowie Bioenergie, Geothermie, Wasserkraft sowie aus diesen hergestellte Moleküle. Wir stärken auch innovative Technologien wie Abwasserwärme, Wärmerückgewinnung und Flugwindkraft/Höhenwindenergie.“
Das klingt wirklich gut.
Auch der Satz: „Wir stehen für eine konsequente Ausrichtung aller Bereiche auf Bezahlbarkeit, Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit.“ Dies kann nur in Erneuerbare Energien münden, denn nur diese sind kostengünstig und heimisch, ohne Ängste vor Versorgungssicherheit haben zu müssen, wenn fossile Energien wieder als Waffe eingesetzt werden, wie von Russland beim Erdgas.
Doch mit der Kostengünstigkeit meint es die Koalition dann offenbar doch nicht ernst. So soll es eine Ausschreibung für 20 GW neue Gaskraftwerke an zentralen Standorten geben, neue Übertragungsnetze sollen gebaut werden – anstatt den dezentralen Ausbau und insbesondere den Windkraftausbau im Süden gezielt voranzutreiben.
Dann allerdings sind auch wieder wichtige dezentrale Ziele formuliert, wie:
„Den Ausbau systemdienlicher Speicherkapazitäten und die systemdienliche Nutzung von E-Auto- und Heimspeichern werden wir verstärkt vorantreiben. Bidirektionales Laden und das Laden am Arbeitsplatz werden wir unterstützen. Wir werden die Ansiedlung von großen Abnehmern, wie etwa von Speichern und großen Erzeugern Erneuerbarer Energien, dort anreizen, wo es dem Netz nützt. Energiespeicher werden als im überragenden öffentlichen Interesse anerkannt sowie im Zusammenhang mit privilegierten Erneuerbaren-Energien-Erzeugungsanlagen ebenfalls privilegiert. Die Mehrfachbelastung durch Steuern, Abgaben und Entgelte wird so weit wie möglich abgeschafft. Die regionale Nutzung ansonsten abgeregelten Stroms wollen wir deutlich erleichtern.“
Ja, das ist richtig gut. Doch wofür brauchen sie dann noch die 20 GW zentraler Gaskraftwerke? Wofür CCS an Gaskraftwerken? Wofür ein riesiges zentrales Wasserstoffkernnetz, das niemals ausgelastet sein wird?
So richtig kann sich die Koalition also nicht entscheiden, ob sie die dezentralen Chancen der Bürgerenergie nutzen oder die fossilen, zentralen Konzerninteressen bedienen will.
Nun kommt es auf uns Bürgerbewegung an
Es zeichnen sich nun zwei mögliche Wege ab:
Entweder:
Die fossilen Konzerne bauen massiv neue Erdgaskraftwerke, in Verbindung mit fossilem Wasserstoff und CCS. In diesem Fall werden die vielen guten Vorschläge im Bürgerenergiesektor wenig Chancen haben, da die großen Konzerne erneut die Strommärkte dominieren.
Oder:
Die Bürgerenergiebewegung gewinnt schnell an Fahrt, baut alle Arten von Erneuerbaren Energien, Speicher und dezentrale Flexibilitäten sowie gesteuerte Wärmepumpen und Ladesäulen. In diesem Fall wird auch der Wärme- und Verkehrssektor rasch zum Klimaschutz beitragen. Viele neue Innovationen von zahlreichen Unternehmen warten darauf, massenhaft investiert zu werden. Was für ein Wirtschaftsaufschwung das sein könnte! Dann werden die großen Konzerne schließlich in die leere Wasserstoffröhre schauen und ihre teuren Strommengen von Erdgaskraftwerken nicht verkaufen können – oder sie erkennen frühzeitig, dass ihre Investitionen gescheitert sind und beteiligen sich nicht einmal mehr an den Kraftwerksausschreibungen.
Die Chancen stehen sehr gut. Erneuerbare Energien mit Speichern sind die kostengünstigste Energieerzeugung. Wer sie selbst nutzt, hat das Ziel des Koalitionsvertrags – billigeren Strom – bereits im eigenen Haus, in der Mietergemeinschaft, im Gewerbe oder Unternehmen erreicht.
Es liegt also an uns allen, diese Chance zu ergreifen und massiv in eine flexible, systemsichere Energieversorgung – Strom, Wärme, Mobilität, Industrieproduktion – zu investieren. Dann werden alle die Ziele des Koalitionsvertrages, die dem Klimaschutz entgegenwirken, ins Leere laufen, und wir können den Klimaschutz doch noch gemeinsam verwirklichen.
Also packen wir es an: Solaranlagen mit Speichern auf die Dächer und Felder, Windanlagen an die Dörfer, alte und neue Biogasanlagen für die Winterstrom- und Wärmeversorgung, Ausbau von Wasserkraft und Geothermie und nicht zu vergessen: der Ersatz der Petrochemie durch Biokunststoffe, Biofarben, Biolacke und andere Chemieprodukte aus nachwachsenden Rohstoffen statt Erdöl.
Dann können wir 100% Erneuerbare Energien und Klimaschutz bis 2030 erreichen und eine echte Chance haben, der „Klimahölle“ zu entkommen.
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