Die Waldbrände in Kanada lassen sich in diesem Sommer nicht mehr löschen – Hans-Josef Fell – Botschafter für 100% Erneuerbare Energien

Apokalypse, die biblische Beschreibung für den Weltuntergang, kommt den Verhältnissen in Kanada recht nahe. Große Teile Kanadas und der USA leiden unter massiver Luftverschmutzung, verursacht durch Waldbrände in Kanada, die ein nie dagewesenes Katastrophenausmaß erreicht haben. Selbst in Städten wie New York oder Washington kann man ohne Atemmasken faktisch nicht mehr vor die Tür gehen.

In Washington wurden in diesen Tagen Spiel- und Sportplätze aufgrund hoher Luftverschmutzung geschlossen und die Müllabfuhr wurde eingestellt. Der Zoo bleibt geschlossen. Dazu die immer wieder gleiche Warnung an die Bewohner: Nur wer unbedingt muss, soll vor die Tür. Und auch das nur kurz und mit Maske.

Lungenkrankheiten, zerstörte Häuser, zehntausende Flüchtlinge

Die Rauchgase aus den Waldbränden sind giftig und führen massenhaft zu Lungenkrankheiten wie Lungenkrebs. In den Waldbrandregionen in Kanada müssen Zehntausende Menschen vor den Flammen fliehen, Tausende verlieren ihre Häuser und Hab und Gut. Die kanadische Regierung sieht sich nicht mehr in der Lage, die Situation zu kontrollieren, und hat Katastrophenhilfe aus vielen anderen Ländern angefordert. Und wer da glaubt, dass dies nur vorübergehend sei, täuscht sich. Die Waldbrände werden noch viele Wochen andauern, da der Sommer mit seinen Hitzewellen in Kanada noch nicht einmal begonnen hat. Doch bereits jetzt im Frühjahr sind die Waldbrände so groß wie noch nie zuvor, wie sie selbst in den früheren Sommermonaten nicht waren.

Im Sommer 2021 sorgte das verbrannte Dorf Lytton bei Vancouver für Schlagzeilen. Damals brachen die Waldbrände mitten in einer Hitzewelle mit einer Rekordtemperatur von 49°C aus.

Die Brände heizen das Weltklima weiter auf

Die Waldbrände werden durch die Freisetzung von enormen Mengen Kohlendioxid das globale Klima weiter anheizen und weltweit zu zusätzlichen und verheerenderen Hitzewellen und Dürren führen.

Waldbrände werden somit überall, insbesondere in den borealen Wäldern der nördlichen Hemisphäre, von Kanada über Europa bis nach Sibirien, weiterhin angefacht. Auch in Deutschland brennen bereits viele Wälder in Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg.

Kanada ist einer der schlimmsten Klimazerstörer

Die Hauptursache für die dramatische der Waldbrände ist die Aufheizung der Erdatmosphäre und damit insbesondere das Verbrennen von Erdöl, Erdgas und Kohle. Damit rückt das Katastrophenland Kanada selbst als Verursacher in den Fokus. Nicht nur, da Kanada mit ca. 15 Tonnen jährlicher Pro Kopf CO2-Emissionen zu den stärksten Emittenten in der Welt überhaupt gehört, sondern auch zusätzlich durch seine hohe Förderung von Erdgas und Erdöl, unter anderem für LNG Export-Pläne nach Deutschland. Damit ist Kanada selbst ein Opfer seiner eigenen klimaschädlichen Politik und Wirtschaftsweise. Doch ein Einsehen gibt es nicht, der wirtschaftliche Schwerpunkt liegt weiter in der fossilen Wirtschaft.

 

Schon 2016 brannten die Wälder in der Erdölregion Alberta und verursachten massive Katastrophen

Vor allem in der Provinz Alberta liegt das Zentrum der kanadischen Erdöl- und Erdgasförderung, bei der oft besonders schädliche Fracking-Methoden angewandt werden. Gerade in Alberta mussten seit Mai diesen Jahres besonders viele Menschen vor den Feuern fliehen und die Regierung hat bereits den Notstand ausgerufen.

Dies ist nichts Neues in Alberta. Schon 2016 gab es schlimmste Waldbrände, vor denen über 100.000 Menschen flüchten mussten. Schon damals habe ich beschrieben, dass es nun eine Region trifft, die selbst Hauptverursacher dieser Katastrophe ist.

Damals mahnte ich, dass Alberta ein Lehrstück für die Weltgemeinschaft werden müsse. Alberta müsse selbst die Förderung von Erdöl und Erdgas einstellen, um nicht noch weiter zur Erdaufheizung beizutragen und so die nächsten Katastrophen anzufachen. Aber es hat sich nichts getan. Sobald die Waldbrände über die Förderregion hinweggezogen sind und verbrannte Wälder, Dörfer und Städte hinter sich gelassen haben, wurde und wird die Erdöl- und Erdgasförderung wieder hochgefahren. Kanada bekommt nun die Quittung in diesem Sommer mit noch viel schlimmeren Katastrophen als 2016.

In Alberta und Kanada lernt man nichts aus den selbst verursachten Katastrophen

Die Hauptsorge in der Provinz Alberta besteht jedoch lediglich darin, ob die Erdölförderung eingeschränkt werden muss und wirtschaftliche Einbußen zu verzeichnen sind. Die Gesundheit der Menschen und der Verlust von Häusern spielen dabei eine geringere Rolle.

Dass Alberta und ganz Kanada endlich den Ausstieg aus der fossilen Nutzung wegen den Waldbränden beschließt, ist weiter nicht abzusehen. Stattdessen gibt es sogar Begehrlichkeiten aus der EU und Deutschland, LNG aus Kanada und den USA zu importieren, was nicht nur das Klima weiter zerstört, sondern auch ganze Landstriche indigener Völker durch die Frackingförderung gefährdet. Somit müssen wir damit rechnen, dass Katastrophen wie Waldbrände in Kanada und weltweit weiterhin massiv ansteigen.

Es ist bitter zu sehen, dass die Erdöl-, Erdgas- und Kohlewirtschaft, die die Erdaufheizung beschleunigen, nicht einmal dann aufhören, ihre klimaschädlichen Geschäfte fortzuführen, wenn sie selbst immensen Schaden an Leib und Leben, Gesundheit, Häusern und der umgebenen Natur erleiden. Wie soll jemals Klimaschutz umgesetzt werden, wenn solche Unvernunft seitens der Menschen besteht?

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Canberra hat bereits 100 Prozent Ökostrom und läutet jetzt das Ende fossiler Heizungen ein – Hans-Josef Fell – Botschafter für 100% Erneuerbare Energien

Hauptstädte können eine große Signalwirkung für den Klimaschutz entfachen.
Der Australische Bundesstaat ACT, der im Wesentlichen gleichbedeutend mit der australischen Hauptstadt Canberra ist, gilt seit Jahren als Vorreiter für den Klimaschutz mit Erneuerbaren Energien.
Schon Mitte der Nullerjahre hatte ACT, anders als Australien selbst, auf die feste gesetzlich Einspeisevergütung für Ökostrom gesetzt. Ich selbst hatte damals als Experte in der Anhörung im Parlament die Grundprinzipien und Erfolge des EEG in Deutschland dargestellt. Damals wurde auch das Ziel von 100 Prozent Ökostrom politisch fixiert.
Der Erfolg ist beachtlich: schon seit 2020 wird Canberra zu 100 Prozent mit Ökostrom versorgt. Damit werden fast ein halbe Million Menschen und eine große Wirtschaftsregion mit sauberer Energie versorgt. Dennoch wird der Ausbau von Ökostrom in ACT weiter vorangetrieben, da auch Heizungen und Verkehr vollständig mit Ökostrom elektrifiziert werden sollen. Bereits heute liegt der Anteil der E-Mobile in Canberra mit 20 Prozent weit über dem Landesdurchschnitt.

Die Stromkunden in Canberra profitieren von einer 100%igen Ökostromversorgung

Auch in Australien steigen die Inflation sowie die Erdgas- und Kohlepreise, was zu steigenden Strompreisen führt. Im kommenden Jahr werden in Australien daher Strompreiserhöhungen von 20 bis 27 Prozent erwartet.
Nicht so in Canberra. Dank der vollständigen Versorgung mit günstiger Solar- und Windenergie liegt die Strompreiserhöhung dort bei nur 4,2 Prozent und damit sogar unter der Inflationsrate. Dadurch spart ein durchschnittlicher Haushalt in Canberra 225 US-Dollar pro Jahr. Im angrenzenden Bundesstaat New South Wales, der weiterhin stark von Erdgas- und Kohleverstromung abhängig ist, muss ein Haushalt hingegen im kommenden Jahr mit einer durchschnittlichen Strompreiserhöhung von 747 US-Dollar rechnen.
Einen besseren Beleg für die kostendämpfende Wirkung von Ökostrom kann es nicht geben.

Canberra zeigt auch, wie schnell eine 100%ige Ökostromversorgung verwirklicht werden kann, wenn eben nicht wie in Deutschland das exponentielle Wachstum des Ökostromausbaus durch kontraproduktive Gesetzesänderungen, wie beispielsweise Umstellungen auf Ausschreibungen, gebremst wird.

Canberra beschließt Verbot neuer Erdgasanschlüsse

Um die Elektrifizierung mit Ökostrom auch im Heizungssektor voranzubringen, hat das Parlament in ACT vor wenigen Tagen ein Verbot für den Neuanschluss von Erdgas beschlossen.

Dieser Beschluss zeigt Parallelen zum Gesetzesentwurf von Minister Habeck zum Auslaufen von Erdöl- und Erdgasheizungen. Auch in Australien hat die der fossilen Wirtschaft sehr zugeneigte Murdoch Presse gegen diesen Beschluss opponiert, genauso wie die Springer-Presse in Deutschland gegen das Gebäudeenergiegesetz (GEG).). Mit Falschaussagen und vielen übernommenen Argumenten aus der Erdgaswirtschaft unterstützte die Murdochpresse die Interessen der fossilen Wirtschaft, genauso wie die Springerpresse in Deutschland.

Doch in ACT blieb die Parlamentsmehrheit aus Labour und Grünen standhaft und verabschiedete das Gesetz. Es ist ihnen klar, dass die absehbaren Preissteigerungen, vor allem beim Erdgas, die Heizungskunden stark strapazieren werden und daher der Umstieg auf Heizungen mit Erneuerbaren Energien aus sozialen Gründen geboten ist. Zudem leidet Australien immer mehr unter Wetterextremen wie katastrophalen Hitzeperioden und Dürren sowie Flutkatastrophen, weshalb der Klimaschutz mehr und mehr ernst genommen wird.

Und die deutsche Hauptstadt Berlin?

In Canberra bedurfte es keines Volksbegehrens um Klimaneutralität und 100 Prozent Erneuerbare Energien bis 2030 anzustreben. Im Parlament selbst wird der Klimaschutz aktiv vorangebracht. In der Bundeshauptstadt Berlin dagegen haben SPD, Union und FDP alles getan, um das Volksbegehren für 100 Prozent Erneuerbare Energien und Klimaneutralität bis 2030 abzuwehren. Leider ist es trotz mehrheitlicher Zustimmung der BerlinerInnen dann an der übergroßen Hürde des Quorums gescheitert.
In Berlin ist auch keine ähnliche Initiative wie in Canberra bekannt, Erdöl- und Erdgasheizungen durch Neubauverbote auslaufen zu lassen.
Damit schädigt die Berliner Hauptstadtpolitik nicht nur das Klima weiter, sondern belastet auch die Geldbeutel der BerlinerInnen mit immer höheren Kosten für Strom und Heizungen aus fossilen Energien wie Erdgas und Kohle, ähnlich wie es bei den Energiekunden in New South Wales der Fall ist. Verantwortungsvolle Berliner Politik hätte wie in der australischen Hauptstadt Canberra Vorreiter sein und 100 Prozent Erneuerbare Energien bis spätestens 2030 angehen müssen. Stattdessen setzt auch die Berliner Landespolitik weiter auf Erdgasheizungen und -kraftwerke, die dann LNG aus Erdgas benötigen, welches auch aus Australien geliefert wird. Die Erdgaspreissteigerungen in Australien werden auch Berlin erreichen. In Canberra setzt man auf den Ausstieg aus dem Erdgas, auch weil es immer teurer wird. In Berlin dagegen setzt man weiterhin auf immer teurer werdendes Erdgas, auch aus Australien. Was für eine verantwortungslose Politik in Berlin. Längst hätte die Hauptstadt Berlin von der Hauptstadt Canberra lernen können, wie man zu 100 Prozent auf Ökostrom umstellt und den Ausstieg aus fossilen Heizungen angeht.

Eine Hauptstadt kann Vorbildwirkung haben

Die Vorbildfunktion einer Hauptstadt hat offensichtlich motivierende Auswirkungen auf das ganze Land. Australien hat von 2019 bis 2022 mit etwa 230 Watt pro BürgerIn mehr in Windkraft und Solarenergie investiert als die Deutschen mit etwa 90 Watt. Andrew Blakers, Wissenschaftler an der National University of Australia in Canberra und Mitglied des Wissenschaftler Netzwerkes der Energy Watch Group, hat erst kürzlich in einem lesenswerten Artikel darauf hingewiesen.

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Klimaschutz in der Industrieproduktion – Hans-Josef Fell – Botschafter für 100% Erneuerbare Energien

Etwa 20 Prozent der Klimagasemissionen in Deutschland werden durch die Industrie verursacht. Damit ist der Industriesektor nach der fossilen Energieerzeugung (mit ca. 38 Prozent) der zweitgrößte Klimagasemittent, gefolgt vom Verkehr mit ca. 18 Prozent und den Haushalten mit 10 Prozent.

Dass Wirtschaftsminister Robert Habeck ein Förderprogramm auflegen will, um Industrie und Mittelstand bei Klimaschutzaktivitäten zu unterstützen ist daher gut und richtig. Eine Voraussetzung für die Förderung ist die Umstellung auf 100 Prozent Ökostrom und die drastische Reduzierung anderer Emissionsquellen. Unternehmen in Branchen wie Stahl, Chemie, Zement oder Glas sollen gefördert werden.

Ist Wasserstoff die entscheidende Maßnahme in einer grünen Industrieproduktion?

Die entscheidende Frage ist nun, welche Maßnahmen am effektivsten sind, um die Industrieproduktion auf eine Nullemissionsbasis oder sogar zu einer kohlenstoffsenkenden Wirtschaftsweise zu bringen.

In der politischen Diskussion wird dabei häufig die Umstellung auf Wasserstoff diskutiert. Tatsächlich wird grüner Wasserstoff, der aus Ökostrom oder durch Photosynthese aus Algen gewonnen wird, eine wichtige Rolle spielen. Wasserstoff aus Erdgas oder Atomstrom sollte jedoch vermieden werden, da dies die Klima- und Umweltprobleme nicht löst. Die EU-Kommission wird wahrscheinlich weiterhin Erdgas, blauen Wasserstoff und CCS (Carbon Capture and Storage) als Klimaschutzmaßnahmen anerkennen. Es ist auch keine Lösung grünen Wasserstoff aus fernen Ländern wie Namibia oder der Golfregion zu importieren, da der Aufbau der erforderlichen Infrastruktur lange dauert und mit hohen Kosten und Ineffizienzen verbunden ist. Zudem ist es geopolitisch riskant die Abhängigkeit von fossilen Energien aus unsicheren und autokratischen Ländern durch Wasserstoffabhängigkeiten zu ersetzen.

Zielführende strategische Lösungsansätze für eine Nullemissionsindustrie

Die vier emissionsstärksten Zweige der Industrie sind die Stahl- und Eisenherstellung mit ca. 35 Prozent, gefolgt von Raffinerien mit ca. 22 Prozent, Zementherstellung mit ca. 20 Prozent und chemischer Industrie mit ca. 17 Prozent. Alle diese und andere Industriezweige sollten ihre Klimagasemissionen bis 2030 weitgehend auf Null reduzieren. Das neue Förderprogramm gibt jedoch bis 2045 Zeit für die Umstellung auf 100 Prozent Erneuerbare Energien und den Abschied von fossilen Rohstoffen wie Erdöl, Kohle und Erdgas.

Chemieindustrie

Die Emissionen der fossilen Raffinerien werden automatisch mit der Umstellung auf 100 Prozent Erneuerbare Energien und erneuerbare Rohstoffe – also mit dem Ende der Nutzung von Erdöl, Erdgas und Kohle – beendet, weil sie dann schlicht nicht mehr benötigt werden.

Eine Ausnahme bilden die Bioraffinerien, die schnell an Bedeutung gewinnen müssen. Ein Beispiel dafür ist der in der chemischen Industrie weit verbreitete Grundstoff Naphtha. Ziel sollte sein Naphtha und andere fossile Grundchemikalien nicht mehr auf Basis von Erdöl und Erdgas, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen wie Pflanzenölen oder Algen, also Bio-Naphtha, herzustellen.

Die gesamte Kunststoffchemie sollte weitgehend auf nachwachsende Rohstoffe umgestellt werden. Am besten wäre es, Plastikprodukte aus ökologisch angebauten, nachwachsenden Rohstoffen herzustellen, die nach ihrer Nutzungsdauer von selbst verrotten und somit dem Kreislauf der Natur zurückgegeben werden können. Dies wäre die entscheidende Strategie, um die weitere Verschmutzung der Meere und Landschaften durch Plastikabfälle sowie die Klimagasemissionen aus Müllverbrennungsanlagen zu stoppen.

Stahlherstellung

Die wichtigste Strategie zur Vermeidung von Emissionen aus der Stahlherstellung ist schlicht die Vermeidung der Nutzung von Stahl. Dies wird von den Stahlherstellern bekämpft werden, so wie die Mineralölindustrie das Ende der Nutzung von Erdöl und Erdgas bekämpft.

Doch die Potentiale, Stahl zu vermeiden, sind erheblich. Eine Halbierung der Stahlverwendung ist möglich und wäre anzustreben, auch wenn man nie ganz auf Stahl verzichten kann – im Gegensatz zu Erdöl oder Erdgas.

Hauptsächlich wird Stahl in der Bauindustrie (35 Prozent), insbesondere als Stahlbeton, verwendet, und in der Fahrzeugindustrie (20 Prozent) zum Karosseriebau.

Als Ersatz für Stahlbeton stehen vor allem Holzbauten sowie Bauten mit Textilbeton zur Verfügung. Textilien aus nachwachsenden Rohstoffen, wie Bambus oder Carbonfasern, stehen längst als Bewehrung für Beton zur Verfügung. Damit könnte Beton sogar zur Kohlenstoffsenke werden, da die nachwachsenden Rohstoffe das CO2 aus der Atmosphäre entziehen und dann im Beton über Jahrhunderte speichern. Zudem kann der Zementbedarf für Beton um über ein Drittel reduziert werden, wenn Stahl durch Textilien oder Carbonfasern ersetzt würde. Auch die Betoneigenschaften, z.B. die Erdbebensicherheit oder die Korrosionsanfälligkeit – und damit die Langlebigkeit von Betonbauten – können sich so deutlich verbessern. Angesichts der vielen aktuell sanierungsbedürftigen Stahlbetonbrücken, die zum Teil erst vor 30 Jahren gebaut wurden, ist dies ein wesentlicher Vorteil.

Vor über 10 Jahren hatte ich die Windbranche auf einem Kongress aufgefordert, doch Textilbetontürme statt Stahlbetontürme zu bauen. Doch es gibt bis heute keine dynamische Entwicklung dazu. So innovativ die Windbranche mit immer größeren und effizienteren Windkraftwerken ist, so wenig innovativ ist sie, wenn es um die verwendeten Materialien geht. Für Textilbeton in den Windtürmen oder Carbonfasern für die Windflügel aus nachwachsenden Rohstoffen hätte die Windbranche längst den Durchbruch schaffen können.

Auch die Automobilindustrie hätte als zweitgrößter Stahlnutzer im Karosseriebau längst auf Bauteile aus nachwachsenden Rohstoffen umstellen können. Entsprechende Innovationen liegen seit Jahren in den Schubladen von Forschungseinrichtungen. Dabei wäre eine Karosserie aus Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen auch erheblich leichter, was den Stromverbrauch der E-Autos deutlich reduzieren würde.

Insbesondere Bambus als Grundstoff für verschiedenste Verbundwerkstoffe hat eine große Zukunft. Die chinesische Regierung fördert die Entwicklung entsprechender Technologien stark.

Europa muss auch in diesem Feld der Bioökonomie aufpassen den Anschluss nicht zu verpassen, so wie es bereits in der Solarindustrie, den Speichern oder E-Mobilen geschehen ist.

Natürlich ist Stahl ein wertvoller Industrierohstoff mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten, so dass er auch in Zukunft nicht völlig wegzudenken ist. Daher ist auch die Stahlherstellung weg von der fossilen Kokskohle anzustreben. Hier ist grüner Wasserstoff als alleiniger Ersatz im öffentlichen Blick. Kaum beachtet, aber viel leichter umzusetzen als grüner Wasserstoff, wäre ein einfacher Wechsel von fossiler Kohle hin zu Biokohle, erzeugt z.B. aus Klärschlamm bzw. der Biotonne mit hydrothermaler Carbonisierung oder Pyrolyse. Der höchst klimaschädliche Irrweg der Klärschlammverbrennung hätte damit sein Ende gefunden. Der luxemburgische Stahlriese ArcelorMittal hat bereits begonnen, Biogas und Biokohle für sein Stahlwerk als Ersatz für Erdgas und fossile Kohle einzusetzen. Auch in metallurgischen Prozessen kann Biokohle vielfältig als Ersatz für fossile Kohle dienen.

Zementherstellung

Für die Zementherstellung selbst gilt das Gleiche wie für die Stahlherstellung. Ein großes Einsparpotential liegt brach. Holzbauten brauchen außer für Fundamente gar keinen Zement, und Textilbeton kommt mit bis zu zwei Dritteln weniger Zement aus als Stahlbeton.

Zudem gibt es innovative Zementherstellungsverfahren, die den CO2-Ausstoß um zwei Drittel reduzieren können, wenn z.B. ein bisher ungenutzter Abraum aus dem Bauxitabbau als Rohstoff genutzt wird. Diese Alternative erweist sich als genauso stabil wie der herkömmliche Portlandzement.

Innovationsunterstützung für Produktionsweisen ohne Zement, Stahl und fossile Rohstoffe in der Chemie ist entscheidend

Das von Robert Habeck aufgelegte Förderprogramm für die Umstellung auf grüne Wirtschaftsweisen benötigt zwingend ein zweites Programm, das die Hersteller von Textilbeton, alternativem Zement, Biokohleverfahren, Biokunststoffen und anderen emissionsfreien Produktionsverfahren unterstützt.

Wenn dies nicht schnell genug gelingt, wird auch in diesen Wirtschaftszweigen China zunehmend die Weltmärkte beherrschen. Die Abhängigkeit von China in der Solarindustrie oder bei Batterien sollte Mahnung genug sein, um endlich auch in diesen Bereichen eine Industrieentwicklung aufzubauen. Entscheidend wird dabei sein, dass die Politik in der EU nicht wieder von den Interessen der Konzerne in der Stahl-, Chemie- und Zementherstellung dominiert wird, die eine Verringerung ihrer Absatzmärkte fürchten, statt im Wettbewerb um Klimaschutztechnologien offensiv nach vorne zu gehen.

All die erwähnten Beispiele kommen gänzlich ohne Wasserstoff aus. Die aufgezeigten Beispiele sind nur ein kleiner Ausschnitt aus einem riesigen Feld von Innovationen, wie sie gerade auch in deutschen Forschungseinrichtungen entwickelt wurden. Leider schlummern die meisten von ihnen unbeachtet in den Schubladen, statt offensiv gefördert zu werden.

Die weitgehende Fixierung auf Wasserstoff in der Industrieproduktion ist aus Sicht der Technologieführerschaft und aufgrund zu langer Entwicklungsprozesse gefährlich für die EU-Wirtschaft und den Klimaschutz, wenn dadurch andere emissionsfreie Industrieverfahren im Markthochlauf nicht gefördert werden.

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China – ein Land im starken ökologischen Aufbruch – Hans-Josef Fell – Botschafter für 100% Erneuerbare Energien

Meine Reise letzte Woche nach China zur SNEC – der weltgrößten Photovoltaik-Messe in Shanghai – und in die Wüste Gobi beeindruckte mich in vielerlei Hinsicht.

Sowohl das Wachstum als auch die Innovationskraft der chinesischen Produktionskapazitäten nicht nur für Photovoltaik (PV), ebenso für Batterien, E-Mobilität, Wärmepumpen, Elektrolyseure und andere emissionsfreie Technologien ist – ausgehend von einem hohen Niveau – weiter atemberaubend. Die Begrünungsaktivitäten in den großen Städten und sogar Wüsten sind ebenfalls beeindruckend.

Eingeladen zu der Reise wurde ich vom Chefredakteur Sven Tetzlaff, Kathai Media & Consulting in Hangzhou. Als Deutscher berichtet und kümmert er sich um viele deutsch-chinesische Aktivitäten, nicht nur in der Wirtschaft der emissionsfreien Technologien, sondern auch in den Bereichen Politik und Kultur.

SNEC – das größte Schaufenster der PV – platzt aus allen Nähten

Die Messe in Shanghai platzte nach drei Jahren Corona-bedingter Abschottung Chinas aus allen Nähten. Auch wenn noch keine offiziellen Daten von der Messeleitung vorliegen, so wurden mir dennoch vorab erste Kennzahlen genannt. Am ersten Tag besuchten mehr als eine halbe Million Menschen die Messe. Etwa 3100 Aussteller füllten die Hallen und die zusätzlich aufgestellten Zelte auf dem riesigen Shanghaier Messegelände. Die Stände waren von den Besuchern stark umringt. Deutsche Firmen waren nur noch sehr wenige unter den Ausstellern.

Viele der großen und mittleren Firmen wie Trina, BYD, Dyness und andere demonstrierten, dass sie sich sehr um die PV-Integration in das gesamte Energiesystem kümmern. Die Verbindung mit Windkraft, Bioenergie, Speichern (wie Batterien oder grüner Wasserstoff) sowie die digitalisierte Sektorenkopplung mit Wärme, Kühlung, Verkehr und Energie für die Industrie standen im Mittelpunkt. Konzepte die ganze Häuser, Stadtteile, Regionen oder auch Firmen mit 100% Erneuerbaren Energien vollversorgen, waren oft in Modellen auf den Ständen zu sehen. Agri-Photovoltaik (Agri-PV) spielt eine zentrale Rolle. Die Verbindung mit der Landwirtschaft oder Begrünungen unter den Modulen hat in China große Bedeutung.

Ausbau der PV-Produktionskapazitäten sind kaum zu fassen

In Gesprächen mit Firmen und Verbandsvertretern staunte ich über die Ausbaugeschwindigkeiten der Produktionskapazitäten. Mitgeteilt wurde mir, dass die jährlichen PV-Produktionskapazitäten in China über alle Wertschöpfungsketten bis 2024 in den nächsten Jahren von rund 500 GW auf 1000 GW verdoppelt werden. Für 2026 sollen nochmals weitere 500 GW in der Planung zu sein.

Zum Vergleich: Die EU will in den kommenden drei Jahren gerade 30 GW neue Solarfabriken auf den Weg bringen.

Viele Einzelmeldungen lassen diese unglaubliche Größenordnung als plausibel erscheinen. Beispiel: Alleine Jinko Solar plant Produktionskapazitäten für 56 GW mit je 14 GW in vier Wertschöpfungsstufen.

Hohe Innovationskraft der chinesischen Firmen

Bei verschiedenen Firmenbesuchen und Gesprächen staunte ich, welche Ziele und Innovationen die Firmen haben. So z.B. Hytzer, die demnächst eine Festkörperbatterie auf den Markt bringen, die die Reichweiten von E-Autos auf etwa 1500 km erhöht und gleichzeitig nicht mehr brennen kann. Die Batterien können in den Rahmen der Autos eingebaut werden.

Oder die Firma Sun Harmonics: Mit hocheffizienten CIGS-Zellen entwickelten sie extrem dünne und flexible Module. Sie baut u.a. Straßenlaternen, deren runder Mast mit den flexiblen Modulen ummantelt ist. Im Mast sind die Batterien für die nächtliche Beleuchtung. In Hangzhou stehen bereits die ersten Straßenlampen. Geeignet sind die flexiblen und superleichten Module auch für Kleidung, geschwungene Dächer, Fassaden, Autokarosserien und alles Weitere, woran die üblichen festen und sperrigen Module nicht, oder nur schwer, angebracht werden können. Die Firma hat außerdem Mülltonnen mit PV-Deckel entwickelt, die einen Motor antreiben, der den Müll zusammenpresst, um das Überquellen zu vermeiden.

Der chinesische Binnenmarkt für PV wächst super schnell

Der Chinesische PV-Markt wächst ebenfalls superschnell. In diesem Jahr werden 100 GW neue Installationen erwartet. Das sind nicht nur riesige Gigawatt Freiflächenanlagen. Etwa 50 GW sind kleinere Anwendungen auf Dächern, Fassaden oder PV-überdachte Ladestationen für elektrische Zweiräder. Balkonmodule spielen in den großen Mietshäusern eine große Rolle. In Hangzhou muss sie der Balkonbesitzer nur kaufen, anbringen, in die Steckdose stecken und dem Netzbetreiber per Internet anzeigen. Oft wird dann sogar noch ein rücklaufender Zähler installiert. Unglaublich einfach und ohne Bürokratie, wenn man an den immer noch nicht ausgestandenen jahrelangen Kampf um den Bürokratieabbau von Steckermodulen in Deutschland denkt …

Wüstenbegrünungen mit riesigen PV-Freiflächenanlagen

Am spannendsten war meine Reise nach Baotou und Ordos, zwei Städte mit je gut zwei Millionen Einwohnern am Gelben Fluss in der Wüste Gobi, Innere Mongolei. Dort besuchte ich die 2,2 GW große PV-Anlage von SPIC, die einen Rekord im Guinnessbuch eingefahren hat. Nicht wegen der unvorstellbaren Größe, da gibt es sogar noch Größere, sondern weil sie das größte Kunstwerk der Welt geschaffen haben. Wegen farblicher Absetzung in den Modulen kann man aus dem Weltall oder hochfliegenden Flugzeugen ein Pferd erkennen. Pferde spielen in der Tradition der Mongolen eine große Rolle.

Am Standort der PV-Anlage war vor 10 Jahren noch unwirtliche Sandwüste. Der Aufbau der riesigen Anlage wurde mit Trackersystemen geschaffen, die Module werden also dem Sonnenstand nachgeführt. In allen Randbereichen werden Bäume gepflanzt und unter den Modulen Begrünungen angelegt. Nur in den ersten Jahren wird eine Bewässerung benötigt, danach wachsen die meisten Pflanzen ohne Bewässerung weiter. Sie beschatten den Boden gegenseitig und verhindern weitgehend stürmische Sandstaubentwicklungen. Der Schatten der Module unterstützt das Wachstum zusätzlich indem Restfeuchte im Boden geschont wird. Die Bewässerung kommt aus dem Grundwasser in 500 Meter Tiefe. Die Betreiber versicherten mir, dass der Grundwasserspiegel nicht absinke, also keine Übernutzung des Wassers stattfinde.

Unter den Bäumen in den Randbereichen finden sich auch ertragreiche Sorten wie Datteln und unter den Modulen wachsen niedrigere Büsche und Kräuter, z.B. ein in China sehr beliebtes Heilkraut, das mongolische Tragant, gehörend zur Familie Astragalus. In dieser Gegend der Inneren Mongolei auch Kubuqi-Wüste genannt, wurde insgesamt eine Fläche so groß wie Deutschland wieder aufgeforstet. Vieles auch schon ohne PV.

Die Betreiber sagten mir, dass es in den letzten Jahren sogar Zunahme von Regen gegeben hätte. Viele Wildtiere haben sich wieder unter den Modulen vermehrt.

Insgesamt also eine Erfolgsgeschichte dafür, was unser Planet unbedingt braucht: Null-Emissionen in der Energieerzeugung und Begrünungen als Kohlenstoffsenken sowie Biodiversitätserhöhung. Letztendlich wurden diese Begrünungen mit den Einnahmen aus dem PV-Stromverkauf ermöglicht. Ein großer Industriekomplex in Ordos wird nun weitgehend mit Strom aus dem PV-Park beliefert und nicht mehr vom örtlichen Kohlekraftwerk.

Die Städte in China sind sauber, sicher, ohne Straßenlärm und überall grün

Auch sonst machte ich eindrucksvolle Beobachtungen. In Hangzhou (ca. 12 Millionen Einwohner) konnte ich im Hotel an einer großen innerstädtischen Straße, mit starkem auch nächtlichem Verkehr, bei offenem Fenster schlafen. Kein Lärm von lauten Motorrädern oder Dieselbussen, gute Luft. Alle Zweiräder werden schon über ein Jahrzehnt elektrisch betrieben, lautlos teilen sie sich die großen, oft von den Straßen abgetrennten, Radwege mit den Radfahrern. Viele nutzen die Radwege in der Stadt sogar für ihren Radsport. Die Busse sind alle leise, weil elektrisch. Die Autos sind geschätzt schon etwa zu 40% elektrisch, die Taxen fast alle, zu erkennen an den grünen statt blauen Nummernschildern. Die U-Bahnen und Schnellzüge als Städteverbindungen sind in den letzten Jahren stark ausgebaut worden. Sie reduzieren den innerchinesischen Flugverkehr und Individualverkehr in den Städten. Der Autoverkehr ist mit hoher City-Maut und Parkgebühren belegt. E- Autos sind davon nur teilweise befreit. Viele Forderungen einer ökologischen Verkehrswende sind in Chinas großen Städten daher schon umgesetzt.

Alle Straßen sind üppig begrünt, mit großen Bäumen und herrlichen gepflegten Blumenrabatten. Jeder freie Platz wird begrünt. Überall pflegen GärtnerInnen, die einen fairen Mindestlohn bekommen.

In Shanghai (40 Millionen Einwohner) habe ich alles genauso gesehen: Grüne Stadt, saubere Luft, kein nennenswerter Straßenlärm. Kein Vergleich mehr zum Schmutz und Lärm den ich bei meiner ersten Shanghai-Reise 2002 erlebte.

In Baotou ist die E-Mobilität noch nicht soweit fortgeschritten: zwar sind auch alle Zweiräder elektrisch, aber es gibt noch kaum E-Autos. Dafür aber auch hier volles, üppiges Straßengrün und Bäume – und das obwohl Baotou in einer Wüstengegend liegt.

Auch die Digitalisierung hat das Leben voll durchdrungen. Ich war wohl ein seltener Exot aus einer rückschrittlichen Welt, der im Café seine Rechnungen sogar noch mit Bargeld bezahlte. Erstaunt hat meine chinesische Begleiterin mein Wechselgeld als Sehenswürdigkeit fotografiert, denn die schon 2019 eingeführten kleinen 1 Renminbi Münzen hatte sie noch nie gesehen.

Warum ist Deutschland nicht auf einem ähnlich steilen Wachstumskurs für eine ökologische Wirtschaft?

Wer wie ich erstmals um 2000 in China war und dort die bittere Armut, die Luftverschmutzung, den Schmutz und Lärm erlebt hatte und nun das sauber und wohlständige China in den großen Städten sieht und insbesondere das unglaublich steile Wachstum der sauberen Technologien, der kann nur staunen. Zumindest im bevölkerungsreichen Osten des Landes.

Da kommt die Frage auf, warum wir in Deutschland immer noch Luftverschmutzung und Straßenlärm durch Verbrennungsmotoren, laute Motorräder, keine neuen Schnellbahnen zwischen den großen Städten (die den inneren Flugverkehr reduzieren), keine Solarfabriken und sterbende Wälder haben? Warum wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer und warum gleiten immer mehr Menschen in bittere Armut ab?

Der rasante Aufbau der chinesischen Cleantech-Industrie vollzog sich in den letzten 20 Jahren just genau in dem Zeitraum, in welchem Deutschland unter der Union von Kanzlerin Merkel regiert wurde. Genau in diese Zeit des chinesischen Ausbaus fiel der Niedergang der deutschen Solarwirtschaft. Nicht nur ich warnte im Bundestag, dass der politisch verordnete Einbruch der deutschen Solarwirtschaft zum Verlust der Technologieführerschaft Deutschlands in diesem Bereich führen wird. Doch genau das ist passiert.

Es gab auch einen großen erfolgreichen Rechtsstaatsdialog zwischen Deutschland und China. In meiner Bundestagszeit war ich ebenfalls daran beteiligt. China hatte vom deutschen Rechtssystem Einiges übernommen, unter anderem das EEG. In Deutschland wurde das EEG unter Merkel, Gabriel, Rösler, Altmaier unter anderem mit der Umstellung auf Ausschreibungen in seiner Wirksamkeit massiv beschnitten. In China wurden die positiven Grundelemente der festen Einspeisevergütung hingegen beibehalten, bis sie sich in Teilbereichen, z.B. für die riesigen Freiflächenanlagen, von selbst im Strommarkt behaupten konnten.

Daher glaube ich, dass wir in Deutschland auch Einiges aus China lernen können, insbesondere wie man Ökologie und Armutsbekämpfung vorantreiben kann.

Natürlich bin ich ein Verfechter der freiheitlichen Demokratie und nicht eines kommunistischen, diktatorischen Regimes wie in China. Die persönliche Freiheit und die Achtung der Menschenrechte sind für mich höchste Güter.

Aber was nützt uns das Abgleiten Europas in immer mehr konservative, populistische und Rechtsaußenpolitik, womit gleichzeitig Klimaschutz, eine schnell wachsende saubere Industrie, eine Verkehrswende verhindert werden? Am Ende kann Europa wirtschaftlich nicht mehr mit China mithalten und wir werden alle gemeinsam auf diesem Planeten zunehmend unter den Katastrophen der Erdaufheizung leiden.

Insbesondere unsere Wirtschaftsbosse aus der fossilen Industrie, aber auch Politiker aus Union und FDP, sollten schnell nach China reisen und lernen, wie man die für den Klimaschutz absolut notwendigen Nullemissionstechnologien wirtschaftlich hochzieht, statt sie hier mit Attacken auf Heizungen mit Erneuerbaren Energien, E-Mobile und Ökostromanlagen zu bekämpfen. Schnell ist dafür absolut notwendig. Das atemberaubende Wachstum der chinesischen Cleantech-Konzerne wird es der heimischen Wirtschaft –dominiert von fossilen Konzernen wie Siemens, VW, BASF, RWE und Co. – sehr schwer machen. Neue chinesische Unternehmen übernehmen rasant die Führerschaft in den emissionsfreien Technologien, insbesondere in den Bereichen Stromerzeugung, Verkehr, Heizungen, Speicher, Digitalisierung, Maschinenbau und Landwirtschaft. Deutsche Konzerne werden wohl bald im globalen Spiel der Wirtschaft weiter massiv an Bedeutung verlieren.

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„Verschieben ist keine Option“ / Mein Interview in der FR – Hans-Josef Fell – Botschafter für 100% Erneuerbare Energien

Zur aktuellen Debatte um Habecks Heizungsgesetz und 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 mein Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 21.5.23

Der Energieexperte Hans-Josef Fell über Habecks Heizungsgesetz und 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 / Ein Interview von Joachim Wille

Herr Fell, Heizungsstreit, Graichen-Affäre, überdimensionierte Flüssiggas-Pläne – die Ampel-Bundesregierung liefert bei der Energiewende ein miserables Bild ab. Wie konnte das passieren? Es handelt sich doch um eine der wichtigsten Aufgaben der Koalition.

Die Ampelpartner sind sehr unterschiedlich. In der FDP opponieren weite Teile gegen fast alle Klimaschutzmaßnahmen, in der SPD gibt es immer noch Unterstützer der Kohle, gerade sie hat in den vergangenen Jahren zusammen mit der Union die Abhängigkeit von russischem Erdgas vorangetrieben, und bei den Grünen sehen weite Teile notwendige Klimaschutzmaßnahmen als Kern ihrer politischen Agenda. Bei dieser heterogenen Konstellation ist es schwer für eine einheitliche Klimaschutzpolitik, wie sie angesichts der zunehmenden Klimakatastrophen zwingend erforderlich wäre.

Aber der Grünen-Minister Habeck hat die Sprengkraft des Heizungsthemas völlig unterschätzt…

Es ist zumindest ungeschickt angekündigt worden. In den letzten Monaten haben doch viele Menschen Angst vor der ins Haus flatternden Heizungsrechnung. Erdgas und Erdöl sind teuer geworden. Zudem haben Springer-Medien, Union und FDP regelrecht gegen die Erneuerbaren-Heizungen gehetzt – mit polemischen und falschen Aussagen. So wie der FDP Abgeordnete Frank Schäffler, der sogar von einem „Heizungsverbot“ sprach. Er ist bekannt als Klimawandelleugner, da weiß man, woher seine Interessenslage kommt. Das alles hat viele Menschen verunsichert und den Blick für das Sinnvolle verstellt. Dabei befreit ein Tausch der Heizungen hin zu erneuerbaren Energien doch genau aus unbezahlbaren Heizöl- und Heizgaskosten. Oft rechnen sich die Investitionen in einigen Jahren.

FDP und Union fordern, die Gesetzespläne zu verschieben. Ist das nicht sinnvoll?

Die Medien sind täglich voll von Katastrophenmeldungen. Aktuell die ungeheuren Überflutungen in Oberitalien nach drei Jahren Dürre und der internationale Hilferuf der kanadischen Regierung zur Bekämpfung der ausufernden Waldbrände. Immer schneller heizt sich die Erde auf, immer schneller und schlimmer kommen die Katastrophen, weil immer noch Erdgas, Erdöl, Kohle den Löwenanteil unserer Energie liefern. Die Welt braucht zwingend eine Ablösung der fossilen Energien mit Erneuerbaren möglichst bis 2030. Selbst die Staats- und Regierungschefs der G7 haben das erkannt und bekräftigten auf ihrem gerade zu Ende gegangenen Gipfel die gemeinsame Verpflichtung, die CO2-Emissionen bis 2035 um 60 Prozent zu senken und die Stromsysteme in etwas mehr als zehn Jahren emissionsfrei zu machen. Auch wenn die G7-Ziele immer noch unzulänglich sind, so geht selbst deren Umsetzung nicht mit Verschiebungen von Klimaschutzmaßnahmen.

Wie hoch muss die Förderung für neue Heizungen sein?

Die meisten Menschen haben genügend Geldvermögen, um sich eine Heizung mit erneuerbaren Energien zu leisten. Aber Bedürftige brauchen großzügige Umstellungshilfen. Alle profitieren hinterher von niedrigen Heizkosten.

Ist das finanzierbar?

Fragen sie mal die Menschen in Oberitalien oder aber im Ahrtal, wo viele Häuser nach der Sturzflut immer noch nicht vollständig wiederaufgebaut sind, ob es für sie finanzierbar ist, ganze Häuser, ihre Heizungen, Elektrogeräte und Mobiliar neu zu beschaffen. Vorsorge ist viel billiger als fehlender Klimaschutz.

Was ist denn die richtige Lösung für die Wärmewende? Fokus auf die Wärmepumpe? Oder mehr Technologieoffenheit?

Im Prinzip ist schon der Ansatz, wie er aus den Koalitionsverhandlungen auf Druck der FDP folgte, viel zu schwach. Nicht 65 Prozent Anteil erneuerbare Energien in den Heizungen, sondern 100 Prozent sind aus Klimaschutzgründen bis 2030 erforderlich. Dafür braucht es die Offenheit für alle Erneuerbaren-Technologien. Im Zentrum muss der Ausbau von Nah- und Fernwärme stehen, mit hohem Solaranteil, großen saisonalen Wärmespeichern und winterlicher Nutzung der Kraftwärmekopplung etwa mit Biogas und Geothermie. Die Wärmepumpe steht überall als effizienteste Technologie zur Verfügung, großtechnisch, um zum Beispiel Flusswärme oder Abwärme aus Rechenzentren in den Nahwärmenetzen zu nutzen oder auch als Einzelheizung in Häusern. Weitere Optionen sind Holzheizungen, wenn sie beste Feinstaub-Reinigung erfüllen, oder auch hocheffiziente elektrische Infrarotstrahlungsheizung in Fußböden oder Wänden. Immer sollte auch eine kostengünstige Geschoss- und Dachdämmung mitgedacht werden.

Die FDP sieht auch im Heizen mit Wasserstoff eine Option. Sinnvoll oder nicht?

Wenn der Wasserstoff lokal aus Ökostrom erzeugt wird, für den Winter gespeichert wird und dann mit Brennstoffzellen Wärme und Strom Wärme liefert, ist das eine gute Option. Das ist aber noch im Anfangsstadium der Entwicklung. Hier müssen die Kosten in den nächsten Jahren noch deutlich sinken.

Sie fordern, die Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien auch im Wärmebereich bereits bis 2030, nicht erst 2045. Ist das überhaupt machbar?

Machbar ist vieles, wenn es die gesamte Gesellschaft es will. Die Pferdekutschen wurden in den USA auch in einem guten Jahrzehnt fast völlig durch Autos ersetzt, was sich niemand vorstellen konnte. Die Frage ist aber weniger die Machbarkeit als die Notwendigkeit. Gerade hat die Weltwetterbehörde WMO in Genf gewarnt, dass die Erde schon 2027 erstmals das 1,5-Grad-Limit überschreiten könnte. Die aktuellen Katastrophen in Italien und Kanada sind nur eine kleine Vorahnung, was schon in den kommenden Jahren auf uns zukommen wird.

Die „Energy Watch Group“, deren Präsident Sie sind, Herr Fell, steht mit der Forderung von 100 Prozent bis 2030 ziemlich alleine da. Andere Öko-Thinktanks, wie „Agora Energiewende“ und das Öko-Institut, sehen längere Fristen vor.

Ja, die meisten Institute richten sich nur nach den unzulänglichen Klimazielen der deutschen Regierung, wie Klimaneutralität bis 2045, was immer noch weitere Emissionen bis 2045 bedeutet. Gleichzeitig behaupten sie auch noch, damit ließen sich 1,5 Grad einhalten, was komplett den Forschungsergebnissen nicht nur der WMO widerspricht. Wir sind mit Klimaneutralität 2045 auf dem klaren Weg in eine unbeherrschbare Heißzeit der Erde, wo wir schon um 2050 keine menschliche Zivilisation wie heute mehr haben werden.

Eine letzte Frage: Was muss der Nachfolger von Staatssekretär Graichen als erstes anpacken?

Er muss vor allem die Bürgerenergien entfesseln, so wie es die EU mit ihrer Richtlinie längst vorschreibt. Dann werden nicht nur Eigenstrom-Erzeugung und -Verbrauch, sondern auch die Heizungen mit ökostrombetriebenen Wärmepumpen und Nahwärmesystemen schnell kommen. Und es braucht ebenso eine Beschleunigung des emissionsfreien Verkehrs.

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